Welche Rolle spielt die Psychotherapie in der Trans-Gesundheitsversorgung?
Das Verhältnis von trans Menschen zur Psychotherapie ist angespannt. Viele trans Menschen haben starke Vorbehalte gegen eine Psychotherapie und das ist verständlich. So fordern die Krankenversicherungen bis heute verpflichtend eine Psychotherapie von 12 bis 18 Monaten Dauer, bevor sie die Kosten für geschlechtsangleichende Behandlungen übernehmen. Zudem war die Psychotherapie in der Vergangenheit häufig ein Ort, in dem trans Menschen geprüft und umgestimmt werden sollten. Das mittlerweile überholte Verständnis von Trans-Sein als psychische Störung hat dazu maßgeblich beigetragen. Zum Glück hat sich in den letzten Jahren viel getan und die Antidiskriminierung und Entstigmatisierung ist vorangeschritten. Dies ist sowohl den Akteur_innen der Trans-Community als auch progressiv Forschenden im Bereich der Trans-Gesundheitsversorgung zu verdanken, die solche Missstände und die strukturelle Diskriminierung benannt und insbesondere die Fachkräfte aus Psychiatrie und Psychotherapie zur Selbstreflexion aufgefordert haben.
Das neue Diagnosemanual (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wertet das Trans-Sein nicht länger als „Störung“, sondern als Geschlechtsinkongruenz, die den „Conditions related to sexual health“ zugeordnet wird. Auch die S3-Leitlinie zur Trans-Gesundheit nimmt bereits auf die neue WHO-Diagnose Bezug und fasst Geschlechtsinkongruenz und Trans-Identität nicht als Krankheit auf, die es zu „heilen“ gilt. Stattdessen soll das Leiden gelindert und das Kongruenzgefühl gefördert werden. Damit ist einerseits klar, dass psychisch gesunde trans Menschen ebenso wenig unmittelbar eine Psychotherapie benötigen wie psychisch gesunde cis Menschen. Andererseits soll trans Menschen mit psychischer Belastung oder psychischen Problemen ein sicherer, nicht-diskriminierender Zugang zu psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Behandlungen möglich sein, ohne dass ein mögliches Trans-Sein automatisch als Teil einer psychischen Störung gesehen wird.
Die S3-Leitlinie zur Trans-Gesundheit weist ausdrücklich darauf hin, dass sowohl die Psychotherapie als auch die Entscheidungen über mögliche Behandlungen im Zuge einer Transition partizipativ getroffen werden sollen. Das heißt, dass sich Behandlungssuchende und Behandelnde auf Augenhöhe begegnen und nach Möglichkeit gemeinsam zu einer Entscheidung kommen. Dabei soll anerkannt werden, dass trans Menschen einerseits über Körperwissen verfügen und Verantwortung für ihren Körper übernehmen können. Andererseits soll auch berücksichtigt werden, dass trans Menschen dennoch von der professionellen Begleitung und Behandlung im Rahmen einer Psychotherapie profitieren können. Die Psychotherapie soll dabei einen geschützten und vorurteilsfreien Raum bilden, in dem Ängste, Hoffnungen, Zweifel und Fragen offen angesprochen und bearbeitet werden können. Bestenfalls können auf diesem Weg bestehende Vorbehalte abgebaut und das Verhältnis von trans Menschen zur Psychotherapie entspannt werden.
Ist eine Psychotherapie notwendig?
In Deutschland ist die Situation nach wie vor so, dass die Stellung einer Diagnose durch approbierte Fachkräfte aus dem Bereich Psychotherapie und Psychiatrie notwendig ist, um Eingriffe im Zuge einer medizinischen Transition von den Krankenversicherungen bezahlt zu bekommen. Die zurecht vielfach kritisierte Diagnose „Transsexualismus“ bleibt dabei noch bis voraussichtlich 2022 sozialrechtlich verbindlich. Lesen Sie dazu bitte auch diesen Text.
Zu Beginn eines psychotherapeutischen Kontaktes steht daher auch die Diagnostik. Hierfür wird in den ersten Gesprächen eine Anamnese erhoben, in der Sie von Ihrer körperlichen, psychischen und sozialen Vorgeschichte sowie von Ihrer aktuellen Lebenssituation erzählen. So kann der_die Behandelnde Sie etwas kennen lernen. Gleichzeitig haben auch Sie die Möglichkeit, auf diesem Weg einen Eindruck von der Arbeitsweise der_des Behandelnden zu gewinnen. Zudem erhalten Sie auf Wunsch Informationen über medizinische Behandlungsmöglichkeiten zur Unterstützung einer Transition und werden bei Bedarf zu möglichen körperlichen, psychischen und sozialen Risiken und Nebenwirkungen beraten.
Eine sogenannte „Indikation“ kann gestellt werden, wenn eine bestimmte Behandlung für medizinisch notwendig gehalten wird. Beispielsweise kann ein_e Psychotherapeut_in eine Indikation für eine Hormonbehandlung ausstellen, wenn sie_er und die behandlungssuchende Person gemeinsam erarbeitet haben, dass die Hormonbehandlung das Inkongruenzerleben und das Leiden nachhaltig verringern oder verhindern kann. Also befassen sich Psychotherapie-Sitzungen für trans Menschen auch mit der Frage: Was brauche ich, um mein individuelles Geschlecht möglichst selbstbestimmt und diskriminierungsfrei leben zu können?
Was kann mir eine Psychotherapie bringen und wie läuft sie ab?
In der Psychotherapie kann es um viel mehr gehen als um die Planung möglicher medizinischer Schritte. In erster Linie soll sie als Unterstützung und Ressource dienen. Themen, wie z. B. Stärkung der Autonomie und des Selbstwertgefühls sowie die Identität und die Körperwahrnehmung können eine große Rolle spielen. Ebenso kann über die eigene Sexualität nachgedacht und gesprochen werden. Es soll Zeit und Raum gegeben werden, sich darüber klar zu werden, wie der individuelle Transitionsweg aussehen könnte. Unsicherheiten, Ängste und Zweifel können hier selbstverständlich und ohne Vorbehalte dazu gehören. Auch kann der Umgang mit einem möglichen Coming-Out, mit Konflikten oder Diskriminierungserfahrungen offen besprochen werden. Ebenso kann es Raum geben, für die Arbeit mit eigenen Gefühlen wie Enttäuschung, Wut und Ärger.
Die Haltung der Behandelnden sollte dabei von Akzeptanz und Respekt geprägt sein. Die Psychotherapeut_innen sollten Ihnen mit Wertschätzung und Empathie gegenübertreten und Sie dabei unterstützen mit schwierigen Situationen und Gefühlen umzugehen. Dazu sollten Therapeut_innen Ihnen wertfrei zuhören und offene Fragen stellen, die Ihnen helfen Antworten und Klarheit zu finden. Die Therapeut_innen wollen also Ihre innere Stimme stärken und Sie dabei begleiten, Ihren eigenen Weg zu finden. Neben den Gesprächen kann dies auch manchmal in Form von Übungen geschehen oder es kann mit Symbolen und Bildern gearbeitet werden oder Sie bekommen vielleicht auch ab und zu Aufgaben, beispielsweise ein Gedankentagebuch, um die Sie sich zwischen den Terminen kümmern können. All das kann helfen, festgefahrene Denkmuster und Verhaltensweisen zu entdecken und zu verändern. Ein wichtiger Teil der Therapie ist es deshalb, Ihre Ressourcen zu finden, zu stärken und zu nutzen. Denn wir alle haben Strategien und Fähigkeiten, die uns helfen, unser Leben zu meistern.
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